Wie viele Linkshänder gibt es?
Linkshänder brauchen in einer Welt der Rechtshänder häufig auf sie zugeschnittene Utensilien, Hilfsmittel und Werkzeuge, was ihnen das Leben mitunter unnötig schwer macht. Und das nur, weil sie eine Minderheit bilden.
Aber ist das wirklich so? Wie groß ist der Anteil der Linkshänder in der Bevölkerung? Und warum ist das so?
Das wichtigste in 30 Sekunden
- Die genaue Definition von Linkshändigkeit ist umstritten.
- Wegen bewusster Umschulung oder unbewusster Nachahmung gehen viele Menschen, die von der Veranlagung her Linkshänder wären, als Rechtshänder durch.
- In Entwicklungsländern gibt es oft keine verlässlichen Erhebungen über die Anzahl der Linkshänder.
- Aus all diesen Gründen schwanken entsprechende Schätzungen stark von nur etwa 9 Prozent, über 20 bis hin zu 50 Prozent.
- Die genauen Ursachen der Dominanz einer Hand über die andere sind nicht abschließend geklärt.
Untersuchungen und Statistiken zur Linkshändigkeit
Wir wollen hier näher darauf eingehen, wie sich Linkshändigkeit definiert, ob Linkshänder von Natur aus eine Minderheit sind oder sich dies nur aus gesellschaftlichen Konventionen heraus entwickelt hat und welche Ursachen Linkshändigkeit haben könnte.
Linkshänder-Prozent-Anteil in Bevölkerung
Der prozentuale Anteil an Linkshändern in der Bevölkerung lässt sich nicht so leicht bestimmen, wie man glauben sollte, denn eine Vielzahl von Faktoren beeinflussen die Genauigkeit entsprechender Untersuchungen, Studien und Statistiken.
Zunächst einmal wäre da die Frage nach der Definition, denn nicht jeder, der etwa mit links schreibt, bevorzugt die linke Hand auch für andere Tätigkeiten und umgekehrt. Je nachdem, welche Kriterien also angelegt werden, um Linkshänder zu definieren, schwanken die Untersuchungsergebnisse.
Einer von der Ruhr Universität Bochum veröffentlichten Studie nach sind 9,34 Prozent der Menschen nach strengsten Kriterien Linkshänder, aber 18,1 Prozent nicht rechtshändig.
Siehe rub.de
Nun ist die Welt aber auf Rechtshänder ausgelegt, weshalb man Linkshänder in Europa früher und in manch anderen Ländern bis heute in der Schule umerzogen hat bzw. noch immer umerzieht – mit oft schweren Folgen für die geistige Entwicklung der Kinder. Ferner findet eine sogenannte unbewusste Umerziehung durch die Auslegung der Umwelt auf Rechtshänder oder das Abgucken von Verhaltensweisen von Rechtshändern statt.
In arabischen Ländern werden Linkshänder, obwohl man von rechts nach links schreibt und die Linkshändigkeit eigentlich von Vorteil wäre, teilweise sogar ausgegrenzt, weil die linke Hand als die „unreine“ Hand gilt, mit der man sich nach dem Stuhlgang säubert, während die rechte Hand der Nahrungsaufnahme dient und als „reine“ Hand gesehen wird.
Im Christentum soll Jesus zur rechten Hand Gottes sitzen, der Satan zu Gottes Linken, weshalb Linkshänder früher ähnlich wie Rothaarige oft als mit Dämonen im Bunde gebrandmarkt wurden. Auch Redewendungen wie „vom rechten Weg abkommen“ dürften das Image der Linkshänder nicht gerade verbessert haben. Kurzum: Es gibt eine Tendenz, Linkshändigkeit zu verbergen oder umzuerziehen.
Verschiedene Schätzungen gehen daher davon aus, dass der tatsächliche Anteil von Linkshändern weit höher liegt. Einige gehen von 20 Prozent aus, andere gar von ganzen 50 Prozent, also der Hälfte der Bevölkerung. Hinweise auf einen unterschiedlichen Anteil echter Linkshänder in der Bevölkerung verschiedener Länder oder Regionen gibt es nicht.
Studien
Studien zur Linkshändigkeit und vor allem deren Häufigkeit gibt es erstaunlich wenige. Die Ausgabe der Psychological Bulletin vom 2. April 2020 publizierte die bereits erwähnte gemeinschaftliche Studie der Universitäten St. Andrews, Athen, Oxford, Bristol und Bochum, über die auch die Homepage der Ruhr Universität Bochum (RUB) berichtete.
Darin wollte man vor allem die bis dahin stets geschätzte Häufigkeit der Linkshändigkeit erstmals wissenschaftlich untersuchen. Privatdozent Dr. Sebastian Ocklenburg von der Fakultät für Psychologie der RUB erklärte zur Studie: „Wie häufig Links- und Rechtshändigkeit jeweils sind, hängt dabei auch davon ab, wie streng die Kriterien dafür sind, die die Autoren anlegen.“ Die beste Gesamtschätzung liege demnach bei 10,6 Prozent Linkshändigkeit.
„Der Anteil der Menschen, die verschiedene Hände für unterschiedliche Aufgaben nutzen, ist den Daten zufolge fast genauso groß wie der Anteil linkshändiger Menschen“, sagte Dr. Silvia Paracchini von der School of Medicine in St. Andrews, die Autorin der Studie.
2002 untersuchte Birgit Dietrich die Problematik der Linkshändigkeit in ihrer Diplomarbeit „Die Linkshänder in einer rechtsorientierten Gesellschaft: Problembewältigung und Möglichkeiten am Beispiel einer Konzeptentwicklung für eine Linkshänderberatungsstelle“. Schon in der Einleitung verweist sie auf das Problem, dass eine auf Rechtshänder ausgelegte Gesellschaft unweigerlich die unbewusste Umerziehung begünstige.
Abseits davon gibt es immer mal statistische Erhebungen, Erwähnungen der Linkshändigkeit, deren Umerziehung als mögliche Ursache im Zusammenhang mit neurologischen und psychiatrischen Schäden genannt wird, aber so gut wie nichts Handfestes. Grund dafür dürfte nicht zuletzt die schon erwähnte mangelnde klare Definition von Linkshändigkeit sein, die vergleichende Studien praktisch unmöglich macht.
Umerziehung und Stigmatisierung in weniger liberalen Ländern als etwa Deutschland machen selbst statistische Erhebungen über Nicht-Rechtshändigkeit nahezu unmöglich. Alles, was man hin und wieder findet, sind Untersuchungen innerhalb recht überschaubarer Testgruppen, die dann hochgerechnet werden, aber längst nicht flächendeckend und in genug verschiedenen Milieus durchgeführt wurden, um wirkliche Aussagekraft für Linkshänder überall auf der Welt zu besitzen.
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Erfassung von Linkshändern
Die Definition von Linkshändern ist also schwierig, da wir nicht einmal sicher sagen können, wann jemand die rechte Hand für bestimmte Tätigkeiten bevorzugt nutzt, weil es seiner Veranlagung entspricht, und wann, weil er sich unbewusst angepasst hat, geschweige denn, was nun wirklich die Händigkeit ausmacht.
Traditionell wird die bevorzugte Schreibhand als Maßstab genommen. Dabei ist gerade das besonders problematisch, da nirgendwo die unbewusste Anpassung so häufig auftritt wie beim Schreiben. Schüler, die nicht mit Rechts schreiben, sind nämlich besonders benachteiligt, da sie anders schreiben lernen müssen und wegen ihrer Händigkeit von den Lehrern nach links außen gesetzt werden. Und jeder weiß: Wenn Mitschüler merken, dass jemandem eine Sonderrolle zukommt, machen sie demjenigen schnell das Leben schwer.
Selbst ohne von Außen aufgezwungenes Umtrainieren passen Schüler sich deshalb bewusst oder unbewusst ihren Klassenkameraden an, sofern sie sich den Gebrauch von Stiften nicht schon zuvor von Erwachsenen oder anderen Kindern abgeguckt haben. Deshalb ist es sinnvoll, die dominante Hand schon vor dem Schreibenlernen zu ermitteln.
Aus diesem Grund geht man vermehrt dazu über, die Händigkeit in Reaktionstests zu ermitteln, denn für gewöhnlich ist die dominante Hand die, die da zum Einsatz kommt. Reflexe gehen nämlich nicht einmal den Umweg über das Gehirn und setzten erst recht keine erlernte oder gar bewusste Handlung voraus.
Während bei uns und in den meisten Industriestaaten so etwas wie die Händigkeit bei Routineuntersuchungen im frühsten Kindesalter ermittelt werden, was auch aussagekräftigere Statistiken zufolge hat, finden derartige Untersuchungen in vielen Entwicklungsländern nicht statt. Die Datenlage in Dritte-Welt-Ländern ist also noch um ein Vielfaches schlechter als bei uns.
Warum gibt es eigentlich Linkshänder und Rechtshänder?
Die genauen Ursachen der Händigkeit sind in der Tat bis heute nicht abschließend geklärt. Man ist so weit, dass man weiß, dass bei Rechtshändern die linke und bei Linkshändern die rechte Gehirnhälfte die dominante Gehirnhälfte ist.
Warum aber nun, welche Gehirnhälfte die dominante ist und aus welchem Grund Rechtshänder allem Anschein nach in allen Teilen der Welt die Mehrheit bilden, ist unklar. Der Anteil der Linkshänder scheint zumindest allen erhobenen Daten nach in der Verteilung auf der ganzen Welt ähnlich zu sein.
Da der Umstand, dass es überhaupt Linkshänder gibt, dagegen spricht, dass die Dominanz einer Hand über der anderen erlernt ist, läge es nahe, dass die Händigkeit genetisch bedingt ist. Allerdings kommt es auch bei eineiigen Zwillingen selten vor, dass beide und nicht nur einer der beiden Zwillinge Linkshänder ist. Das spräche wiederum gegen eine genetische Ursache.
Das Geschwind-Behan-Galaburda-Modell macht die Sexualhormone, denen der Embryo in der entscheidenden Entwicklungsphase ausgesetzt ist, für die Lateralisation des Gehirns, also die Wahl der dominanten Gehirnhälfte, verantwortlich.